Der Kapitän des Raumschiffs — Stuttgarter Zeitung

Bernhard Tewes sorgt hinter den Kulissen des Stuttgarter Apollotheaters dafür, dass bei den Vorstellungen alles nach Plan läuft.

Der Bühnenmanager in seinem Reich. Seit zwei Jahren läuft das Queen-Musical „We will rock you" im Apollotheater. Foto: Martin Stollberg

Stuttgart - Plötzlich gehen die Lichter aus im Apollotheater. Nur die Nachtsichtkamera sieht noch einen Techniker, der mitten auf der Bühne steht. Bernhard Tewes hat sein Headset aufgesetzt: »Alles in Ordnung, Blackout-Check bestanden.« Im Lauf des Abends wird er Hunderte von Einsatzbefehlen, »Cues«, für die Bühnenbildumbauten, für die Lichtwechsel, für die Auftritte der Künstler geben. Mit den Lampen ist alles okay, die Bühne ist fertig eingerichtet. Die Show kann beginnen.

Der 30-Jährige sitzt über der hintersten Zuschauerreihe ganz allein in einer Art Raumkapsel mit unzähligen Knöpfen, Hebeln, Lämpchen. Neun Monitore zeigen ihm die Bühne von verschiedenen Standpunkten aus, eine Kamera ist auf den Dirigenten im Orchestergraben gerichtet. Auch dessen Einsätze muss Tewes im Auge behalten. Noch räkelt sich der Bühnenmanager in seinem Drehstuhl, die Arme auf den Lehnen, die Beine weit gestreckt. »Es kann schon stressig werden, wenn wirklich viel, viel schiefgeht«, sagt er und schiebt sich vorsorglich einen Schokoriegel in den Mund. "Der Job frisst Zucker.«

Seit zwei Jahren auf dem Spielplan

Noch ein paar Minuten bis zum Start in eine andere Welt. Wir schreiben das Jahr 2040: Instrumente sind verboten, Musik wird nur noch von Computern generiert. Die Erdenbewohner werden von der mächtigen »Killer Queen" gezwungen, dieselbe seichte Unterhaltungsmusik von »Radio Gaga« zu hören. Doch im Untergrund tummeln sich Rebellen wie Scaramouche und Galileo. Sie wollen sich nicht mit der Realität abfinden und begeben sich auf die Suche nach den Gitarren, die der einstige Gitarrengott einer britischen Band namens Queen vor sehr langer Zeit versteckte.

»Alexandra mach mich glücklich«, sagt Tewes zu seiner Kollegin. Er ist an diesem Abend der »Caller«, Alexandra Bothner übernimmt den Part der »Floaterin«, sie läuft hinter den Kulissen hin und her, gibt Zeichen, mahnt zur Eile oder auch mal zur Ruhe. »Wenn ein Darsteller stürzt oder mit seinem Kostüm irgendwo hängen bleibt, kommt sie zur Hilfe«, sagt Tewes.

Neben ihm blinkt es, das Signal für einen Anruf aus dem Vorderhaus: alle Plätze sind ausverkauft, der Saal, in dem mehr als 1800 Leute Platz finden, wird jetzt geöffnet. Die Zuschauer strömen herein, die Einlassmusik läuft. Bernhard Tewes und sein Team haben diese Melodie schon Hunderte Male gehört. Seit zwei Jahren ist das deutschsprachige Musical »We will rock you« auf dem Stuttgarter Spielplan

Helden im gleißenden Licht

Tewes drückt einen der vielen Knöpfe, seine Stimme erschallt hinter der Bühne: »Meine Damen und Herren die Vorstellung beginnt, bitte in Position zu Beginn des ersten Aktes. Ladies and Gentlemen please standby for top of act one. Vielen Dank.« »Standby«, sagen nacheinander alle Techniker und signalisieren so ihre Einsatzbereitschaft. Bernhard Tewes kündigt das erste Lichtkommando an: »LX eins«, murmelt er – und einige Sekunden später: »Go!« Ein Lichtkreis erstrahlt in der Bühnenmitte. Auf der Leinwand ist ein klarer Sternenhimmel zu sehen. Rebell Galileo träumt mit seiner Freundin Scaramouche davon, wie es wäre, wenn sie auf ihrem Planeten wieder »Real Rock« hören könnten.

Bald steht die erste Bühnenverwandlung an: »Auto cue eins, Lift sechs – Go«. Ein Lift im Untergeschoss setzt sich in Bewegung und zaubert das Autogerippe auf die Hauptbühne. Die Kulisse zeigt jetzt einen Schrottplatz. Ein Scheinwerfer setzt Scaramouche und Galileo in gleißendes Licht, während die beiden den Queen-Song »Who wants to live forever« singen. Tewes hat jetzt ein wenig Zeit, um Luft zu holen. Er trommelt mit dem Zeigefinger im Takt.

»Richie, bitte Lift drei, vier« – »Standby« – »Danke schön«. Das Autogestell senkt sich via Lift wieder von der Bühne. »LX 53 – go!« Ein anderer Scheinwerfer schwenkt auf die beiden Schauspieler. Tewes drückt zugleich auf die Tasten, die dem Dirigenten und dem Klangtechniker ihren Einsatz signalisieren.

Wie ein König auf seinem Thron

Die letzte Bühnenverwandlung im ersten Akt. Eine große Treppe soll zurückgefahren werden. Tewes muss viele Kommandos parallel geben, doch er lässt sich den Stress nicht anmerken, sitzt wie ein König auf seinem Thron. Die Arme, weit von sich gestreckt, ruhen locker auf dem »Caller-Buch«, der Partitur eines Bühnenmanagers. Einmal sei es ihm passiert, dass er im Bann der Aufführung völlig vergessen habe, seine Befehle zu geben, sagt er. »Da lief auf einmal nichts mehr. Ohne mein ,Go' passiert hier nämlich gar nichts.«

Bernhard Tewes richtet sich in seinem Stuhl auf: »Jetzt kommt eine komplexe Verwandlung.« Lichter blitzen kreuz und quer, lassen die Bühne in schrillen Farben erstrahlen. Er gibt das Sprungsignal für die beiden Stuntmänner. Von der Decke seilen sie sich ab und tanzen ihre Choreografie. Das Publikum applaudiert kaum. »Die wissen heute nicht so recht, ob sie klatschen wollen«, meint Tewes und gibt den nächsten Einsatz: »DVD – Go!« Jemand hinter der Bühne drückt die Play-Taste eines DVD-Recorders, und dann aus den Lautsprechern tönt »It's a Kind of Magic«. Auf Leinwänden flimmern bunte, verzerrte Animationen einer Großstadtsilhouette.

Tewes verfolgt den nächsten Bühnenumbau auf einem der Monitore: »Na, passt das jetzt? Wo ist das Loch, wo ist das Loch?« Drei Bühnentechniker versuchen, ein riesiges Bild, das eine Schrottplatzszene zeigt, passgenau in der Bühnenmitte anzubringen. »Draußen geht gerade die Welt unter. Es regnet und hagelt«, sagt ein Techniker. Er meint das echte Wetter vor der Halle. Ein Zuschauer in der ersten Reihe klatscht zur Musik und schunkelt hin und her. »Unser Spezialfan«, sagt Tewes, »der macht mit dem Leuchtstab seine eigene Choreo.« Bis jetzt läuft alles nach Plan. Aus den Lautsprechern tönt »Seven Seas of Rhye«. »Das Krasseste, was passieren kann, ist ein Showstop, wenn sich zum Beispiel jemand verletzt hat. Dann mache ich eine Ansage und kündige als Entschädigung Freisekt im Foyer an«, sagt Bernhard Tewes.

Der Träumer rockt auf seiner E-Gitarre

Wenig später hat er »ein echtes Problem«. Die Drehbühne funktioniert nicht. Eigentlich sollte sich die Harley um die eigene Achse drehen, dem Publikum den Auspuff zeigen und dann, in dicke Rauchschwaden gehüllt, majestätisch aus der Szene gleiten. Aber es geht nicht. »Scheiß auf die Drehung, lasst die Harley rückwärts hinter die Kulisse fahren«, entscheidet er. Nun heißt es auch für die Schauspieler, die auf der Maschine sitzen, die Nerven zu behalten. Als das Motorrad auf einem Art Förderband rückwärts hinausgefahren wird, grinsen sie. »Wer ist nah genug dran, um den Stecker der Harley zu ziehen, damit der Scheinwerfer endlich ausgeht. Die soll im Nebel verschwinden, da muss das Licht aus sein.«

Das Publikum ist am Ende des Musicals doch noch aufgestanden, jubelt und johlt. Träumer Galileo hat den geheimen Ort, an dem es noch richtige Musikinstrumente gibt, gefunden und rockt nun auf einer E-Gitarre. Einige Zuschauer halten Leuchtstäbchen und Feuerzeuge in die Höhe: »We are the Champions« tönt es aus den Lautsprechern. Bernhard Tewes wippt mit seinem Stuhl. Für diesen Abend ist das Werk wieder vollbracht. Er blättert die letzte Seite seines Caller-Buches um, und sagt nur: »Hammer!« Seine Art, Erleichterung zu zeigen.

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