»Ich bin kein Knacki, ich war nur da« — Trott-war – Die Strassenzeitung im Südwesten

Wie ein Ex-Sträfling zum Thema Gerechtigkeit steht

Edward S.* ist in jungen Jahren straffällig geworden und hat es Dank des Reutlinger Vereins Hilfe zur Selbsthilfe geschafft, den Weg in ein selbstständiges Leben in Freiheit zu gehen.

Keine Schlägereien, kein Alkoholmissbrauch, kein Drogenkonsum. »Ich bin nicht so wie die anderen«, sagt Edward S. Und meint damit die Ex-Knackis, mit denen er zusammenwohnt. »Sobald eine Krankenversicherung besteht und ein Arbeitsvertrag unterschrieben wurde, brechen viele weg«, erklärt Stefanie Glöser, Sozialarbeiterin aus Reutlingen. Der Druck ist zu groß, die Menschen sind nach ihrer Entlassung oft noch zu labil. Drogen- und Alkoholkonsum erscheinen oft als Notausstieg.

In Baden-Württemberg gibt es insgesamt 8245 Haftplätze. Die offenen und geschlossenen Vollzugseinrichtungen waren letztes Jahr mit durchschnittlich 7500 Gefangenen belegt. In Deutschland werden knapp 50 Prozent der zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten wieder rückfällig, nachdem sie ihre Haftstrafe abgesessen haben. Diese Rückfallquote fällt auffallend höher aus als die durchschnittliche Rückfallquote aller in Deutschland straffällig gewordener Menschen, die bei circa 33 Prozent liegt. Edward S. wird nicht erneut straffällig, er hat drei Tage nach Haftentlassung einen Ausbildungsplatz. »Ich habe mich gut gefühlt, das war das erste Mal nach so langer Zeit, dass ich draußen war«, sagt er. Seine Haare sind kurz und gestylt, er ist 1,92 Meter groß und macht heute gerne Sport und kocht oft. »Ich verschiebe extra wichtige Termine, damit ich hier kochen kann“, lacht er. Die ersten Tage nach dem Absitzen arbeitet er durch. Der Berufsalltag ist hart. Fünf Monate hält er durch, dann bricht er seine dritte Ausbildungsstelle, die zum Koch in einem Restaurant, ab. »Ich falle gerne in Löcher und komme nur schwer wieder raus«, sagt er.

Als er in das Gefängnis geht, stapft er nur mit seinen Kleidern, die er am Körper trägt, seinen nächsten 18 Monaten entgegen. Zukunftslos, besitzlos, einsam – auch seine damalige Freundin wendet sich von ihm ab, als sie am Abend seines Haftantritts erfährt, dass er hinter Gitter muss. Den wahren Grund verschweigt er. Er erzählt ihr, er habe als kleiner Junge Fensterscheiben eingeworfen und müsse nun dafür gerade stehen. Das Verhältnis zu seiner Familie ist zerrüttet, liegt brach, als sie die Wahrheit über sein Leben erfahren. Heute hat er ab und an Kontakt zu seinen Geschwistern.

30 Einbrüche, Diebesgut in Höhe von 15.000 Euro und ein daraus entstandener Sachschaden in Höhe von 20.000 Euro. Edward S. konnte sein Doppelleben aufrecht erhalten. Nach außen hin war er der glücklichste Mensch. »Niemand hätte geglaubt, dass es mir so scheiße ging.« In Wahrheit aber fraßen Angst vor der Zukunft und Gewissensbisse seine Seele auf. Das Reuegefühl kommt am nächsten Morgen, fesselt ihn tagsüber ans Bett. Gedankenkonflikte werden mit Schlaf ertränkt, sobald es geht, mit Alkohol. Miete kann er seit seinem Ausbildungsabbruch nicht mehr bezahlen. Das kümmert weder ihn noch seinen damals jungen Vermieter. Warum, weiß Edward S. selber nicht, aber er ist froh und erleichtert darüber, dass Stress mit dem Vermieter und ausstehende Mietzahlungen ihm erspart bleiben. Die Beute gibt er für Essen und Trinken aus. »Ich war froh, wenn ich einen Euro hatte«, sagt er.

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Die erste Woche verbringt er im Gefängnis in Ravensburg. Jede Zelle hat ihren eigenen TV, einen CD-Player und einen Wasserkocher. Die Toilette ist sauber und hat ein großes Fenster aus Milchglas. Dann ist er auf Transport nach Heimsheim, Überbrückung nach Adelsheim. Im Panzerbus toppen sich die Insassen gegenseitig mit Berichten über den Knast in Adelsheim. »Es hat sich auch alles bestätigt, als ich dann dort angekommen bin, es ist schon schlimm dort«, sagt er. Es gibt Situationen, da bekommt er zu spüren, dass er nichts wert sei. »Man wurde schon gerecht behandelt, aber oft wurden unsere Meinungen nur gehört und waren nichts wert.«

In der Justizvollzugsanstalt Adelsheim provoziert er niemanden, ist freundlich zu seinen Mitinsassen, knüpft Freundschaften. Ein Kontakt besteht noch heute, wenn auch nur – aufgrund der Distanz – über das Social Network Facebook. Der heute 21-Jährige wohnt seit seiner Haftentlassung in der vollstationären Wohngruppe des Reutlinger Vereins Hilfe zur Selbsthilfe. Mit offenen Armen wurde er dort empfangen, bekam ein Zuhause, das er seiner Meinung nach sonst nirgends erwarten konnte. In der Haftanstalt hält er sich von Anfang an an die richtigen Leute. »Die meisten haben keine Reife im Kopf, da kann man eine Milchpackung auf den Boden schmeißen und zehn Leute werden sich darum schlagen. Das ist so. Aber ich meine, ich habe es gut überstanden. Ich habe mich angepasst.« Er lächelt.

Edward S. arbeitet am begehrtesten Ort im Gefängnis, der Küche. Als er zwei Eier aus der Küche mitgehen lässt, wird er abgesondert: Einen Tag Zelle ohne TV, ohne Ausgang. Er legt sich sofort schlafen, damit Gedanken über sein Leben nicht sein Hirn zermartern. »Das macht dich kaputt«, sagt er und klopft an seine Schläfe. Er raucht in seiner Zelle wie ein Schlot, vernebelt seine Gedanken. »Es hätte mir alles klar sein müssen, da hab ich einfach Scheiße gebaut.« Nach seiner Verurteilung brach er erneut dreimal ein. Gewissensbisse ließen ihn selbst einen Brief an die Polizei schreiben. Bei der zweiten Verhandlung gesteht er alles, Hoffnung auf Strafminderung. Vergebens. 18 Monate und drei Jahre auf Bewährung. Er kam sechs Monate früher raus, dank guter Führung.

Einmal schon hat Edward S. versucht, dem Glimmstängel zu widerstehen. Keinen Tag hielt er aus. Die Sucht und die graue Öde ließen ihn fester und schneller das Nikotin in den Blutkreislauf ziehen. Seit einer Woche raucht er nicht mehr. Joggt seitdem von seinem neuen Job aus nach Hause. »Wenn ich normal laufe, laufe ich 30 Minuten, aber gestern habe ich sieben Minuten gebraucht. Mir ist die Puste nicht ausgegangen. Das ist, weil kein Rauch mehr in der Lunge ist«, sagt er. Freunde haben ihn ermutigt, das Rauchen aufzugeben.

Der Job wird besser bezahlt als die Ausbildungen, die er bisher anfing, Schichtarbeit in einem Chemieunternehmen. Heute ist er glücklich, sieht eine Perspektive: eine neue Ausbildung. Am Vorabend seines diesjährigen Geburtstags plant er, auf ein Konzert von Culcha Candela zu gehen, sein erstes Rockkonzert nach seiner Freilassung. Zusammen mit seinen Freunden will er hin.

Im Juli 2009, in der Nacht seines Geburtstags, wird er zum ersten Mal erwischt. Unter starkem Alkoholeinfluss schlug er eine Scheibe von einem Kiosk ein, verlor dabei sein Handy. Wenige Wochen später das Wissen, er muss ins Gefängnis.

Auch heute gibt es für Edward S. kein Zurück mehr. Er will weiter vorwärts gehen. Sein Ziel neben der Ausbildung ist ein Wohnplatz in einer anderen Einrichtung. »Das ist so wie hier, aber man ist mehr auf sich alleine gestellt. Es gibt einen Betreuer, aber nur für ein paar Stunden am Tag«, sagt er.

Er ist stolz auf ein Leben ohne Kriminalität. Edward S. sieht sich als integriert, fügt schnell hinzu »Aber nur, wenn man Arbeit hat.«

*Name von der Redaktion auf Wunsch geändert

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